1. Zur Frage der Dringlichkeit bei im Wege des Eilverfahrens geltend gemachten Ansprüchen nach dem GeschGehG.

2. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem GeschGehG ist es im Hinblick auf die hinreichende Bestimmtheit der Anträge erforderlich, dass die streitbefangenen Geschäftsgeheimnisse konkret bezeichnet werden.

3. Die Ausräumung einer im Sinne von § 6 GeschGehG konkreten Erstbegehungsgefahr setzt nicht die Abgabe einer strafbewerten Unterlassungserklärung voraus. Sie kann in der Regel durch einen sog. actus contrarius ausgeräumt werden, der auch darin gesehen werden kann, dass die Antragsgegnerin im Eilverfahren erklärt, etwaige Geschäftsgeheimnisse nicht zu nutzen oder offenzulegen.

4. Der Empfang einer E-Mail erfüllt nicht das Erfordernis eines „unbefugten Zugangs“ im Sinne von § 4 Abs. 1 GeschGehG.

OLG Frankfurt 6 W 113/20 vom 27.11.2020 – Unterlassungsansprüche nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) im Eilverfahren

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 100.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich der Textilindustrie, insbesondere dem Gebiet der Vliesstoffe. Sie streiten um Ansprüche aus dem Geschäftsgeheimnisgesetz.

Der ehemalige Angestellte der Antragstellerin – Vorname1 X – kündigte mit Schreiben vom 28.2.2020 die Anstellung bei der Antragstellerin. Hierauf schlossen die Antragstellerin und der Mitarbeiter X am 18.3.2020 einen Aufhebungsvertrag des Inhalts, dass das Anstellungsverhältnis mit Ablauf des 31.8.2020 endete. Am 8.4.2020 wurde der Mitarbeiter X freigestellt. Er ist mittlerweile bei der Antragsgegnerin beschäftigt.

Die Antragstellerin hatte im Mai 2020 Indizien dafür, dass mehrere Mitarbeiter im Begriff waren, zur Antragsgegnerin oder zu deren konzernangehörigen Gesellschaften zu wechseln. Der Betriebsrat der Antragstellerin stimmte am 19.5.2020 einer Untersuchung der Datenbewegungen einiger der betroffenen Mitarbeiter zu. Die am 20.6.2020 durchgeführte Sichtung ergab, dass der ehemalige Mitarbeiter X eine Vielzahl von Daten auf externe Datenträger exportiert, in ein externes Netzwerk hochgeladen, Dokumente der Antragstellerin gedruckt und Daten der Antragstellerin per E-Mail an seine eigene Adresse sowie an die Adresse des Geschäftsführers der Antragsgegnerin gesendet hatte. Dieses Ergebnis der extern durchgeführten Auswertung wurde der Antragstellerin am 7.7.2020 bekannt gemacht.

Das Landgericht hat den auf Unterlassung der Nutzung und/oder Offenlegung von Betriebsgeheimnissen sowie Herausgabe entsprechender Unterlagen gerichteten Verfügungsantrag mit Beschluss vom 20.8.2020 zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es fehle an einem Verfügungsgrund, da die Überwachungssoftware ungewöhnliche Datenbewegungen im IT-System bereits im März 2020 registriert habe. Es mangele auch an einem Verfügungsanspruch, da der Geschäftsführer der Antragsgegnerin nach dem Vortrag der Antragstellerin von dem Mitarbeiter X lediglich eine E-Mail erhalten habe, hinsichtlich derer die Antragstellerin nicht dargetan habe, dass die dort enthaltene Abbildung Geschäftsgeheimnisse enthalte. Im Übrigen könne nicht unterstellt werden, dass der Geschäftsführer der Antragsgegnerin nach § 4 Abs. 3 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) wusste oder wissen musste, dass der Mitarbeiter X die Information rechtswidrig erlangt habe.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihren Verfügungsantrag in modifizierter Form weiterverfolgt.

Die Antragstellerin beantragt:

I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, zu vollziehen an den gesetzlichen Vertretern der Antragsgegnerin, jeweils zu unterlassen,

a) in ihrem Besitz befindliche Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin betreffend die Auftragslage der Antragstellerin, Angebotsverfahren der Antragstellerin und/oder bestehende Geschäftsbeziehungen der Antragstellerin mit Kunden und/oder Lieferanten, jeweils in den Geschäftsbereichen

der Vliesstoffe („Nonwoven“), insbesondere der nassgelegten Vliesstoffe

(„Wetlaid“), zu nutzen und/oder Dritten offenzulegen;

b) Mitarbeiter und/oder Organe der Antragstellerin aufzufordern, Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin betreffend die Auftragslage der Antragstellerin, Angebotsverfahren der Antragstellerin und/oder bestehende Geschäftsbeziehungen der Antragstellerin mit Kunden und/oder Lieferanten,

jeweils in den Geschäftsbereichen der Vliesstoffe („Nonwoven“), insbesondere der nassgelegten Vliesstoffe („Wetlaid“), gegenüber der Antragsgegnerin oder ihren Mitarbeitern offenzulegen;

2. die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen – gleich ob in elektronischer oder schriftlicher Form verkörpert -, die Geschäftsgeheimnisse gemäß Ziffer 1 enthalten, zum Zwecke der Sicherung der Vernichtung zur Verwahrung an einen Gerichtsvollzieher herauszugeben.

II. Hilfsweise:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

a) die in den Anlagen ASt 12, ASt 14 bis ASt 16 sowie ASt 20 enthaltenen Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin betreffend die Auftragslage der Antragstellerin, Angebotsverfahren der Antragstellerin und/oder bestehende Geschäftsbeziehungen der Antragstellerin mit Kunden und/oder Lieferanten, jeweils in den Geschäftsbereichen der Vliesstoffe („Nonwoven“), insbesondere der nassgelegten Vliesstoffe („Wetlaid“), zu nutzen und/oder Dritten offenzulegen;

b) Mitarbeiter und/oder Organe der Antragstellerin aufzufordern, Geschäftsgeheimnisse der gemäß Ziffer 1 a) gegenüber der Antragsgegnerin oder ihren Mitarbeitern offenzulegen;

2. die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen – gleich ob in elektronischer oder schriftlicher Form verkörpert -, die Geschäftsgeheimnisse gemäß Ziffer 1 enthalten, zum Zwecke der Sicherung der Vernichtung zur Verwahrung an einen Gerichtsvollzieher herauszugeben.

III. Weiter hilfsweise:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

a) die in der Anlage ASt 12 rot markierten Dateien sowie die in den Anlagen ASt 14 bis ASt 16 und ASt 20 enthaltenen Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin betreffend die Auftragslage der Antragstellerin, Angebotsverfahren der Antragstellerin und/oder bestehende Geschäftsbeziehungen der Antragstellerin mit Kunden und/oder Lieferanten, jeweils in den Geschäftsbereichen der Vliesstoffe („Nonwoven“), insbesondere der nassgelegten Vliesstoffe („Wetlaid“), zu nutzen und/oder Dritten offenzulegen;

b) Mitarbeiter und/oder Organe der Antragstellerin aufzufordern, Geschäftsgeheimnisse der gemäß Ziffer 1 a) gegenüber der Antragsgegnerin oder ihren Mitarbeitern offenzulegen;

2. die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen – gleich ob in elektronischer oder schriftlicher Form verkörpert -, die Geschäftsgeheimnisse gemäß Ziffer 1 enthalten, zum Zwecke der Sicherung der Vernichtung zur Verwahrung an einen Gerichtsvollzieher herauszugeben.

IV. Weiter Hilfsweise:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

a) die in den Anlagen ASt 16 und ASt 20 enthaltenen Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin betreffend die Auftragslage der Antragstellerin, Angebotsverfahren der Antragstellerin und/oder bestehende Geschäftsbeziehungen der Antragstellerin mit Kunden und/oder Lieferanten, jeweils in den Geschäftsbereichen der Vliesstoffe („Nonwoven“), insbesondere der nassgelegten Vliesstoffe („Wetlaid“), zu nutzen und/oder Dritten offenzulegen;

b) Mitarbeiter und/oder Organe der Antragstellerin aufzufordern, Geschäftsgeheimnisse der gemäß Ziffer 1 a) gegenüber der Antragsgegnerin oder ihren Mitarbeitern offenzulegen;

2. die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen – gleich ob in elektronischer oder schriftlicher Form verkörpert -, die Geschäftsgeheimnisse gemäß Ziffer 1 enthalten, zum Zwecke der Sicherung der Vernichtung zur Verwahrung an einen Gerichtsvollzieher herauszugeben.

Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren erklärt, sie nutze keine Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin. Sie werde die im Antrag aufgeführten Geschäftsgeheimnisse weder nutzen noch offenlegen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht zu der Entscheidung gelangt, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen war.

1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin fehlt es dem Verfügungsantrag nicht an der notwendigen Dringlichkeit. Das GeschGehG selbst enthält – anders als etwa das UWG in § 12 Abs. 2 – keine speziellen Bestimmungen für die Geltendmachung der dort vorgesehenen Ansprüche im einstweiligen Rechtsschutz, so dass entsprechend der Begründung zum RegE vom 4.10.2018 (BT-Drs. 19/4724, 34) zu Abschnitt 3 die allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen, also diejenigen aus GVG und ZPO (McGuire in Büscher, UWG, § 15 GeschGehG Rn 7). Ob angesichts des Umstands, dass durch das am 26.4.2019 in Kraft getretene GeschGehG die bis dahin geltenden §§ 17-19 UWG ersetzt wurden, für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG im einstweiligen Rechtsschutz die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG analog anzuwenden ist, ist umstritten (verneinend: OLG München GRUR-RR 2019, 443 Rn 13; Löffel WRP 2019, 1378, 1379; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 38. Auflage 2020, GeschGehG § 15 Rn 16; bejahend: BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG § 6 Rn 42-56). Die Frage kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da auch ohne Dringlichkeitsvermutung die nötige Eilbedürftigkeit nicht verneint werden kann.

Der Senat sieht es dabei als glaubhaft gemacht an, dass die Antragstellerin erst im Juni 2020 Kenntnis von den streitgegenständlichen Handlungen ihres Mitarbeiters hatte. Soweit der Vortrag und die Glaubhaftmachungen bisher den Eindruck zuließen, Mitarbeitern der Antragstellerin sei durch die Software „Digital Guardian“ bereits im März 2020 Meldung über verdächtige Datenbewegungen gemacht worden, hat die Antragstellerin in der Beschwerde klargestellt und auch glaubhaft gemacht, dass dies nicht der Fall war, sondern erst durch die Untersuchung im Juni rückblickend festgestellt wurde, dass die Software verdächtige Datenbewegungen registriert hatte. Angesicht der missverständlichen Formulierung hält der Senat dies auch nicht für wechselnden – und damit problematischen -, sondern nur für missverständlichen Vortrag.

Nach Kenntnis der Informationen hat die Antragstellerin hinreichend zügig gehandelt. Die aufgrund der Gesamtumstände und der Gefahr der Verwendung von Geschäftsgeheimnissen offensichtlich bestehende Dringlichkeit ist daher nicht widerlegt.

Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung ist, die Antragstellerin habe die Überwachungssoftware dergestalt einrichten müssen, dass bei verdächtigen Datenbewegungen sofort Meldungen erstellt würden, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Es nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin unter Dringlichkeitsgesichtspunkten anlasslos dazu verpflichtet sein sollte, ihre Mitarbeiter regelmäßig daraufhin zu überwachen, ob diese keine Geschäftsgeheimnisse unerlaubt weitergeben – soweit dies rechtlich überhaupt möglich wäre.

2. In der Sache ist der Verfügungsantrag mangels hinreichender Bestimmtheit der Anträge teilweise unzulässig.

a) Die Hauptanträge sind mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig, da sie abstrakt auf „Geschäftsgeheimnisse“ Bezug nehmen, ohne diese jedoch genau zu bezeichnen. Für die Zulässigkeit des Verfügungsantrags ist wesentlich, dass die eingetretene, noch fortdauernde oder zukünftig bevorstehende Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses hinsichtlich der konkreten Verletzungsform bezeichnet wird (BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG § 6 Rn 42-56).

Hier sind die Geschäftsgeheimnisse nicht näher bezeichnet und im Übrigen auch zwischen den Parteien streitig, so dass die Frage, was Gegenstand der Verurteilung ist, unzulässiger Weise in das Vollstreckungsverfahren verlagert würde.

b) Auch der erste Hilfsantrag teilt dieses Schicksal. Zwar ist der Antrag durch den Verweis auf die „in Anlagen ASt 12, ASt 14 bis ASt 16 sowie ASt 20“ enthaltenen Geschäftsgeheimnisse“ konkretisiert; die Antragstellerin selbst sieht jedoch nicht den gesamten Inhalt der Anlage ASt 12 als Geschäftsgeheimnis an, ohne insoweit im Antrag zu differenzieren, auf welchen Teil der Inhalte sich das Verbot erstrecken solle. Für die Antragsgegnerin bliebe daher auch hier die Reichweite des Verbots unklar.

c) Der zweite Hilfsantrag hingegen weist die notwendige Bestimmtheit auf. Er umfasst konkret bezeichnete Dateien der Anlage ASt 12 sowie die kompletten Inhalte der Anlagen ASt 14 bis ASt 16 und Anlage ASt 20. Damit ist für die Antragsgegnerin hinreichend erkennbar, welches Verhalten ihr untersagt werden soll.

3. Der Hilfsantrag zu III. erweist sich jedoch als unbegründet. Der Antragstellerin stehen der geltend gemachte Unterlassungsansprüche aus § 6 GeschGehG nicht zu. Die Antragstellerin hat klargestellt, dass sich der Verfügungsantrag hinsichtlich der im Antrag 1 enthaltenen Begehungshandlungen des Nutzens und Offenlegens auf eine Erstbegehungsgefahr stützt; eine solche liegt jedoch nicht vor.

a) Im Hinblick auf beide im Antrag enthaltene Handlungen des Nutzens und Offenlegens von Geschäftsgeheimnissen wäre eine mögliche Begehungsgefahr durch die Erklärung der Antragsgegnerin, keine Geschäftsgeheimnisse nutzen oder offenlegen zu wollen, die von dem Hilfsantrag erfasst sind, in Wegfall geraten.

Aus den konkreten Einzelfallumständen kann sich zwar ergeben, dass die (erstmalige) Begehung der Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses ernstlich droht (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 78). Die Begehungsgefahr schafft einen sog. vorbeugenden Unterlassungsanspruch. Die Feststellung einer Erstbegehungsgefahr verlangt also, dass objektiv ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Anspruchsgegner werde sich in naher Zukunft in der näher bezeichneten Weise rechtswidrig verhalten (ständige Rspr., vgl. BGH GRUR 2015, 603, 605 – Keksstangen; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 84). Dabei muss sich die drohende Verletzungshandlung angesichts der konkreten Einzelfallumstände derart konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind. Insoweit ist der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses darlegungs- und beweisbelastet. Es besteht keine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Erstbegehungsgefahr.

Der Senat hält das Bestehen einer Erstbegehungsgefahr für fraglich. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verbietet nicht die Lebenserfahrung die Annahme, die Antragsgegnerin werde die Betriebsgeheimnisse nicht nutzen. Eine solche Vermutung mag vielleicht zulässig sein, wenn der Mitarbeiter der Antragstellerin und der Geschäftsführer der Antragsgegnerin in kollusivem Zusammenwirken Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin entwendet hätte. Der Senat kann jedoch – wie oben dargelegt – bei der einzigen an den Geschäftsführer der Antragsgegnerin tatsächlich gelangen E-Mail nicht zugrunde legen, dass der Versand tatsächlich mit Kenntnis und Unterstützung der Antragsgegnerin erfolgt. Vielmehr ist ebenso vorstellbar, dass der Mitarbeiter der Antragstellerin dies aus eigenem Antrieb und ohne Kenntnis der Antragsgegnerin gemacht hat. Es verbleibt daher die Tatsache, dass der Geschäftsführer der Antragsgegnerin ohne sein vorheriges Wissen eine E-Mail erhalten hat, die (möglicherweise) ein Geschäftsgeheimnis der Antragstellerin enthält. Diese lässt nicht den zwingenden Schluss zu, das Geheimnis werde auch benutzt oder offengelegt.

Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen, da ein Erstbegehungsgefahr jedenfalls wieder entfallen wäre.

Die Ausräumung einer derartigen – konkreten – Erstbegehungsgefahr verlangt nicht die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung (Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher UWG § 8 Rn 108; Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn 21 f.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 106), die vom Rechtsverletzten bei der bloßen Erstbegehungsgefahr auch gar nicht verlangt werden kann. Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr gelten daher weniger strenge Anforderungen als bei der Ausräumung der Wiederholungsgefahr (ständige Rspr. – vgl. BGH GRUR 2014, 382, 384 – Real Chips). Sie kann in der Regel durch einen sog. actus contrarius ausgeräumt werden, d.h. dass das die Begehungsgefahr ausräumende Verhalten spiegelbildlich das umkehren muss, was nach den konkreten Einzelfallumständen die Entstehung der Begehungsgefahr begründet hat (BGH a.a.O.). Das erforderliche entgegengesetzte Verhalten hängt davon ab, durch welches Verhalten die Erstbegehungsgefahr begründet wurde (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 108 ff.).

An die Ausräumung der Wiederholungsgefahr sind hier nach Auffassung des Senats keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, wäre doch eine etwaige Begehungsgefahr allenfalls dadurch zu begründen, dass die Antragsgegnerin eine entsprechende E-Mail von Antragsteller zugesandt bekommen hat, ohne dass die Antragsgegnerin hierzu durch aktives Tun einen Beitrag geleistet hätte. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist daher keine strafbewehrte Unterlassungserklärung erforderlich.

Hier ist daher durch die ausdrückliche Erklärung der Antragsgegnerin in den Schriftsätzen vom 13.11.2020 und 20.11.2020, etwaige Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin, die von dem Hilfsantrag umfasst sind, nicht zu nutzen oder offenzulegen, eine mögliche Erstbegehungsgefahr als ausgeräumt anzusehen.

b) Ob eine Wiederholungsgefahr dadurch besteht, dass eine mögliche rechtswidrige Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses – analog zum Markenrecht – eine Wiederholungsgefahr auch für die Handlung des Nutzens und Offenlegens begründen würde, kann dahinstehen, da die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag ausdrücklich (nur) Erstbegehungsgefahr gestützt hat. Die Wiederholungsgefahr stellt hierzu einen abweichenden Streitgegenstand dar.

4. Der im Hilfsantragskomplex III. mit dem Antrag 2. geltend gemachte Sequestrationsanspruch besteht ebenfalls nicht. Er setzt nach § 7 Nr. 1 GeschGehG voraus, dass die Antragsgegnerin elektronische Dateien im Besitz oder Eigentum hat, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern. An einer derartigen Verletzungshandlung fehlt es.

a) Vorausgesetzt wird nach § 7 Nr. 1 GeschGehG durch die Bezeichnung der Passivlegitimation des „Rechtsverletzers“ eine Rechtsverletzung, also, dass ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 entgegen § 4 rechtswidrig erlangt, genutzt oder offengelegt worden ist, ohne dass ein Fall von § 5 vorliegt (vgl. § 2 Nr. 3). Nicht erforderlich ist, dass die Voraussetzungen eines Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruchs vorliegen, was einschließt, dass kein Verschulden wie beim Schadensersatzanspruch und auch keine Wiederholungsgefahr erforderlich ist (BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG, § 7 Rn 4).

b) Eine derartige Verletzungshandlung hat hier nicht vorgelegen. Die Antragsgegnerin hat die in Anlage ASt 12 markierten sowie die in Anlagen ASt 14 bis ASt 16 enthaltenen Dateien nicht im Sinne von § 4 Abs. 3 S. 1 GeschGehG „erlangt“.

(1) Während das Verbot des § 4 Abs. 1 GeschGehG hier nicht betroffene Verhaltensweisen erfasst, mit denen sich eine Person unbefugt den Zugriff auf das Geschäftsgeheimnis selbst oder einen (körperlichen oder unkörperlichen) Geheimnisträger verschafft, erfasst § 4 Abs. 3 GeschGehG auch mittelbare Verletzungshandlungen, bei denen die handelnde Person das Geschäftsgeheimnis entweder von einem Dritten bezieht bzw. ableitet oder mit rechtsverletzenden Produkten umgeht. In beiden Fällen ist in der Person des Handelnden indes ein subjektives Element erforderlich (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 38. Auflage 2020, GeschGehG § 4 Rn 60).

(2) Hieran fehlt es jedoch. Es ist erforderlich, dass die handelnde Person das Geschäftsgeheimnis von diesem Dritten erlangt, wobei sie gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der Dritte einen Rechtsverstoß begangen hat. Das Gesetz nennt drei Formen der unzulässigen Kenntniserlangung: Zugang, Aneignung, Kopieren. Die Aufzählung ist abschließend und stellt klar, dass nicht jede Kenntniserlangung als Handlungsverbot nach dem GeschGehG einzustufen ist (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 5. Ed. 15.9.2020, GeschGehG § 4 Rn 14-19). Keine dieser Handlungsformen liegt hier jedoch vor, insbesondere kann ein „Zugang“ nicht bejaht werden. Dieser liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn eine E-Mail empfangen wird, da der Empfänger hierzu keinerlei Beitrag leistet. Vielmehr ist zu verlangen, dass in dem „Zugang“ ein aktives Element enthalten sein muss. D.h., der Empfänger muss auch eine Form von Aktivität entfaltet haben.

Dies ist jedoch weder vorgetragen noch kann es entgegen der Ansicht der Antragstellerin einfach unterstellt werden. So ist denkbar und nicht fernliegend, dass Herr X aus eigenem Antrieb und ohne Kenntnis des Geschäftsführers der Antragsgegnerin die E-Mail mit den behaupteten Geschäftsgeheimnissen gesendet hat. Allein die Tatsache jedenfalls, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin zulässigerweise abgeworben hat, kann eine Haftung für das rechtswidrige Verhalten des abgeworbenen Mitarbeiters nicht begründen.

(3) Im Hinblick auf die Anlagen ASt 14 – ASt 16 gilt das Gesagte. Hinzu kommt, dass nicht zugrunde gelegt werden kann, dass der Mitarbeiter X die Dateien nach dem gescheiterten Versuch an die Adresse a@b.com über den Umweg seines privaten E-Mail-Account an die richtige Adresse des Geschäftsführers der Antragsgegnerin geschickt hat.

(4) Soweit die Antragstellerin eine Anstiftung zur Erlangung – und damit eine Teilnahme an der Haupttat des Herrn X im Sinne von § 4 Abs. 1 GeschGehG – darin sieht, dass der Geschäftsführer der Antragsgegnerin unter dem 27.3.2020 eine E-Mail zugesandt hat, in der er Herrn X auffordert, „eigene Ideen für Rahmenverträge mit den wichtigsten Lieferanten einzubringen“, kann dies eine Anstiftung nicht begründen. Die Bitte erfolgte ausdrücklich mit dem Hinweis, dass dann die Verträge ab dem 1.9.2020 (Beginn der Tätigkeit des Herrn X bei der Antragsgegnerin) nicht neu verhandelt werden müssten. Ein Bezug oder gar eine Aufforderung zu Erlangung von Geschäftsgeheimnissen der Antragstellerin kann hierin nicht gesehen werden.

Soweit die Antragsgegnerin auf die bereits zuvor übersandten E-Mail hinweist, kann auch dies eine Teilnahme nicht glaubhaft machen. Die E-Mails vom 18. und 19.3. hat der Geschäftsführer nicht erhalten; die E-Mail vom 31.3.2020 (nicht „Februar“, wie in der Antragsschrift aufgeführt) hat allein schon deshalb außer Betracht zu bleiben, weil sie nach dem 27.3.2020 abgeschickt wurde.

5. Der weitere Hilfsantrag teilt das Schicksal des Hilfsantrages zu III.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem GeschGehG ist es im Hinblick auf die hinreichende Bestimmtheit der Anträge erforderlich, dass die streitbefangenen Geschäftsgeheimnisse konkret bezeichnet werden

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